Das Ende einer Karriere?
Gestern hat mich ein Freund angerufen, der professionell Sport macht, und er klang ziemlich fertig. Er hatte gerade das Ergebnis seines letzten Routine-Dopingtests bekommen – positiv.
Jetzt stand er gedanklich bereits vor dem Scherbenhaufen seiner Karriere. Er beteuerte mir, nicht gedopt zu haben. Bei 90%iger Testgenauigkeit brauche er auch nicht auf die B-Probe warten. Seine sportliche Karriere war beendet - und das, obwohl er ganz sicher nicht wissentlich eine verbotene Substanz konsumiert. Verschiedene Verschwörungstheorien kochten bereits in ihm hoch...
Nachdem ich ihm gesagt habe, wie leid es mir tut, dass sein Test positiv ausgefallen ist, schlug ich vor, dass wir uns erstmal die Zahlen genauer anschauen. Vielleicht wäre es doch eine gute Idee auf das Ergebnis der B-Probe zu warten..
Statistische Täuschungen: Wenn 90% nicht genug sind
Denn, obwohl Dopingtests ziemlich genau sind, gibt es immer noch eine gute Chance, dass du nicht gedopt hast, selbst wenn die A-Probe positiv ist. Eine 90%ige Testgenauigkeit bedeutet nämlich keinesfalls, dass ein positives Testergebnis bedeutet, dass er zu 90% sicher gedopt hat. Aber das stimmt so nicht ganz. Die Genauigkeit eines Tests sagt nicht direkt aus, wie wahrscheinlich es ist, dass du wirklich gedopt hast.
Ich fragte ihn, ob er wusste, wie hoch der Anteil der dopenden Athleten wirklich ist. Er erklärte mir, dass man in seiner Sportart davon ausginge, dass die Quote bei unter 1% läge.
„Das ist genau der Punkt“, sagte ich zu ihm. „Lass uns das Ganze einmal mit einer einfachen Berechnung durchgehen. Stell dir vor, es gibt 10.000 Athleten in deiner Sportart. Wenn weniger als 1% dopen, dann wären das also etwa 100 Athleten, die tatsächlich gedopt haben.“
„Von diesen 100 Athleten“, fuhr ich fort, „würde ein Test mit einer Genauigkeit von 90% bei 90 von ihnen korrekt ein positives Ergebnis anzeigen, also dass sie gedopt haben. Aber was ist mit den anderen 9.900 Athleten, die nicht dopen? Bei einer 90%igen Testgenauigkeit würde der Test bei 10% dieser Athleten fälschlicherweise ein positives Ergebnis anzeigen. Das wären 990 falsch-positive Ergebnisse.“
„Wenn man das in Betracht zieht“, sagte ich, „dann haben wir also insgesamt 990 falsch-positive und 90 echte positive Ergebnisse. Das bedeutet, dass von 1.080 positiven Tests (990 + 90) etwa 990 tatsächlich falsch-positiv sind.“
Eine neue Perspektive: Wenn Statistik alles verändert
Er schaute mich an und sagte: „Also bedeutet das, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ich wirklich gedopt habe, wenn mein Test positiv ist, viel geringer ist, als ich dachte?“
„Genau“, bestätigte ich. „In diesem Fall liegt die Wahrscheinlichkeit, dass du tatsächlich gedopt hast, bei etwa 8,3% (90 von 1.080). Das ist eine völlig andere Perspektive, oder?“
„Das heißt, es lohnt sich definitiv, auf die B-Probe zu warten und sich nicht sofort aufzugeben. Es ist gut möglich, dass es sich um einen Fehler handelt.“
Seine Stimmung hellte sich etwas auf, als er das realisierte. „Das habe ich so noch nie betrachtet“, sagte er. „Ich werde auf jeden Fall auf das Ergebnis der B-Probe warten und nicht vorschnell handeln. Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung.“
„Auf jeden Fall“, sagte ich. „Und egal, wie es ausgeht, denk daran, dass du nicht alleine bist. Wir stehen alle hinter dir und werden dich unterstützen, egal was passiert.“
Mit einem Hauch von Zuversicht in der Stimme verabschiedete er sich von mir, und ich war froh, ihm zumindest etwas Klarheit und Hoffnung gegeben zu haben. Manchmal kann eine einfache Rechnung den Unterschied zwischen Verzweiflung und Hoffnung ausmachen.